Avatar

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„Ein Schuss in die eigenen Reihen, versuchen uns zu befreien. Ein Eklat! Wir lassen das Feuer regnen. Brennen ab, bis wir uns im Staub begegnen.“ Diese Zeilen singt Jonas Pentzek, während im Hintergrund Bass, Gitarre und ein Synthie, der wie eine Sirene klingt, in melancholischen Melodiebögen die Luft zerschneiden. Der Titeltrack der EP „Avatar“ baut Bilderwelten auf, deren Größe in der deutschsprachigen Musik selten geworden ist. Und doch ist jeder Ton, ist jedes Wort an diesem Song wahr. „Ich bin Teil all dieser Geschichten. Wir als Band sind Teil dieser Geschichten“, sagt Jonas. Aber von vorne: FIBEL sind neben Jonas (Gesang, Keyboards) Dennis Borger (E-Gitarre), Lukas Brehm (Gesang, Bass) und Noah Fürbringer (Schlagzeug). Die vier lernen sich 2017 während ihres Studiums an der Popakademie Mannheim kennen. Sie fangen an gemeinsam Songs zu schreiben und veröffentlichen eine erste Live-Session. Ihre Musik führt rasch zu einem Aufmerken auch jenseits von Mannheim. Es folgen zwei eigene Touren quer durch die Republik, Auftritte auf Festivals wie dem „Maifeld Derby“, „Watt En Schlick“ oder dem „Fusion Festival“. Das alles mit nur einer EP im Gepäck namens „Kommissar“, über die wir an dieser Stelle gar nicht so viele Worte verlieren wollen. Ein bisschen was sollte aber schon gesagt werden: Das Online-Musikmagazin Diffus nimmt den Titeltrack 2018 in seine Songs des Jahres auf, schreibt von einem „waschechten Indie-Hit“. Und: Auch Medien wie der Musik-express oder der Bayrische Rundfunk finden warme Worte für die Band. Das liegt vor allem daran, dass FIBEL sich schnell den Ruf einer außergewöhnlichen Live-Band erspielen. Wer die Band in den vergangenen Jahren sah, stellte fest: Das knallt. Das ist laut, besitzt aber auch Momente der Zärtlichkeit. „Wir geben auf der Bühne alles, wortwörtlich. Da entsteht eine ganz krasse Energie. Es fühlt sich an, als wären wir in Ekstase. Und da wird das Publikum mit reingezogen. Es geht bei uns nicht darum, die Leute bestmöglich zu unterhalten, sondern um eine gemeinsame Reise. Um ein gemeinsames Erlebnis mit Höhen und Tiefen, auf das man sich aber auch einlassen muss. Wir haben da wirklich eine große Sehnsucht nach“, sagt Lukas. Und Jonas? Der spricht von einer „Distanz, in der wir und das Publikum uns voneinander weg und aufeinander zu bewegen. Ein Austausch von Emotionen - die durch den Raum schwirren und jeden bewegen und erreichen sollen“. „Avatar“, wie schon die „Kommissar“ EP von Fabian Langer (Neufundland) produ-ziert, atmet viel von dieser Live-Energie. Das Quartett ruht sich nicht auf den frühen Lorbeeren aus. Die Songs sind ein ganzes Stück vielschichtiger geworden, gleichzeitig aber auch eingängiger, besitzen einen Sog, der durchaus an den der Konzerte erinnert. Man merkt der Band an, dass sie ein neues Selbstverständnis gefunden hat. FIBEL haben sich vorgenommen, etwas Tiefes zu schaffen, etwas handwerklich Gutes, das – ganz wichtig – immer mehr als die Summe der einzelnen Teile sein muss. „Bei der ersten EP kamen die meisten Songs noch von mir und Dennis“, sagt Jonas. „Diesmal haben wir sehr darauf geachtet, dass unsere Lieder gemeinsam entstehen. Wir haben festgestellt, dass wir alle uns dann wohler fühlen.“ Man könnte FIBEL jetzt in eine Schublade stecken und sie mit anderen deutsch-sprachigen Bands vergleichen. Aber um diese Schublade geschlossen zu bekom-men, müsste man schon arg schieben und drücken. Eher kommen einem bei den druckvollen Post-Wave-Sounds die britischen Foals in den Sinn, vielleicht auch die Band Editors. Das Schöne an der Band, die ihre Mannheimer Wurzeln mittlerweile zu-gunsten von Berlin aufgegeben hat, ist aber etwas, das einem bei so jungen Musikern selten begegnet: FIBEL haben sich in gerade mal drei Jahren eine ganz eigene Welt geschaffen. Man erkennt einen ihrer Songs spätestens dann, wenn Jonas ein paar Zeilen gesungen hat. Wegen dieser Stimme, die immer eine gewisse Melancholie in sich trägt. Vor allem aber wegen seiner Art zu texten, die zwei Dinge vereint: Seine Lyrics sind einerseits sehr assoziativ, scheinen aus einer Traumwelt zu stammen. Sie meiden die aus dem Pop bekannten Satz- und Reimmuster, schweben ebenso frei im Raum wie die Melodielinien der Instrumente. Gleichzeitig sind die Zeilen sehr konkret in seinen Gedankenwelten verankert. Er besitzt die Fähigkeit, einen Gedankenstrom so zu kanalisieren, dass er als Song funktioniert, dabei aber niemals seine Tiefe verliert. „Ich mag das Wirre, das Verspulte. Ich möchte manchmal auch eine Spur zu weit ausholen dürfen. Denn so fühlen sich unsere Gedanken doch oft an.“ Es passt gut dazu, dass Jonas eine Vorliebe für die Filme von Gaspar Noé und Nicolas Refn besitzt – die Bilderwelten ähneln sich. In den Songs von FIBEL spielt immer eine gewisse Sehnsucht mit. Die Suche nach Dingen, die man gar nicht genau benennen kann, vielleicht nach irgendeiner Form der tiefen, unbedingten Verbindung. „Was will ich sagen? Was ist mir wichtig? Ich habe noch nie so mit Texten gerungen wie diesmal“, sagt Jonas. Dieses Ringen hat sich gelohnt. Jeder der Songs auf der „Avatar“ EP besitzt Anker, an denen man sich als Hörer festhalten kann, die einen aber auch in die Musik hineinziehen. Manchmal sind das einzelne Buzzwords. Der „Spanische Spiegel“ in „Zukunft“. Das „Alien“ in „Ufo“. Und der Begriff „Pervitin“, welcher im Titelsong Avatar auftaucht. „Dieser Song handelt davon, dass jemand seinen Lebenssinn verliert. Dass er zu einer ge-steuerten Seele in einer seelenlosen Welt wird, aus der er nur entfliehen kann, wenn er sich auf radikale Art und Weise herunter bricht“, erklärt Jonas. In „Odyssee“, ei-nem treibenden Indierock-Song, sind es Skylla und Charybdis, die Meeresungeheuer aus der Straße von Messina, denen man plötzlich gegenübersteht. „Winter“ verschiebt den Regler aus dem Abstrakten ins Konkrete. „Ich bin wie ein Foto in der Dunkelkammer“, singt Jonas hier, um kurz danach zu fragen: „Wie sich das wohl anfühlt, wenn uns die Welle an Land spült?“ In „Ufo“ berichtet er von einer „fremden grünen Hand“, die über seinen Tellerrand hängt, ihn nicht loslassen möchte; vom abstrakten Gefühl, dass da draußen doch mehr sein könnte als das, was man sieht oder hört. Im abschließenden „Zukunft“ geht es ums große Ganze: Kame-ra, Mikrofon, Blitzgewitter erlebt der Protagonist da, und kommt schließlich hinter Gitter. Es ist die Frage nach der Schuld, die hier verhandelt wird – und die Erkennt-nis, dass Schuld in einem gesellschaftlichen Sinne nicht nur kollektiv, sondern auch immer individuell ist. Große Themen also. Das Bemerkenswerte ist, dass FIBEL sich daran keine Sekunde lang verheben. Mit der „Avatar“ EP machen sie einen entscheidenden Schritt nach vorne.

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„Ein Schuss in die eigenen Reihen, versuchen uns zu befreien. Ein Eklat! Wir lassen das Feuer regnen. Brennen ab, bis wir uns im Staub begegnen.“ Diese Zeilen singt Jonas Pentzek, während im Hintergrund Bass, Gitarre und ein Synthie, der wie eine Sirene klingt, in melancholischen Melodiebögen die Luft zerschneiden. Der Titeltrack der EP „Avatar“ baut Bilderwelten auf, deren Größe in der deutschsprachigen Musik selten geworden ist. Und doch ist jeder Ton, ist jedes Wort an diesem Song wahr. „Ich bin Teil all dieser Geschichten. Wir als Band sind Teil dieser Geschichten“, sagt Jonas. Aber von vorne: FIBEL sind neben Jonas (Gesang, Keyboards) Dennis Borger (E-Gitarre), Lukas Brehm (Gesang, Bass) und Noah Fürbringer (Schlagzeug). Die vier lernen sich 2017 während ihres Studiums an der Popakademie Mannheim kennen. Sie fangen an gemeinsam Songs zu schreiben und veröffentlichen eine erste Live-Session. Ihre Musik führt rasch zu einem Aufmerken auch jenseits von Mannheim. Es folgen zwei eigene Touren quer durch die Republik, Auftritte auf Festivals wie dem „Maifeld Derby“, „Watt En Schlick“ oder dem „Fusion Festival“. Das alles mit nur einer EP im Gepäck namens „Kommissar“, über die wir an dieser Stelle gar nicht so viele Worte verlieren wollen. Ein bisschen was sollte aber schon gesagt werden: Das Online-Musikmagazin Diffus nimmt den Titeltrack 2018 in seine Songs des Jahres auf, schreibt von einem „waschechten Indie-Hit“. Und: Auch Medien wie der Musik-express oder der Bayrische Rundfunk finden warme Worte für die Band. Das liegt vor allem daran, dass FIBEL sich schnell den Ruf einer außergewöhnlichen Live-Band erspielen. Wer die Band in den vergangenen Jahren sah, stellte fest: Das knallt. Das ist laut, besitzt aber auch Momente der Zärtlichkeit. „Wir geben auf der Bühne alles, wortwörtlich. Da entsteht eine ganz krasse Energie. Es fühlt sich an, als wären wir in Ekstase. Und da wird das Publikum mit reingezogen. Es geht bei uns nicht darum, die Leute bestmöglich zu unterhalten, sondern um eine gemeinsame Reise. Um ein gemeinsames Erlebnis mit Höhen und Tiefen, auf das man sich aber auch einlassen muss. Wir haben da wirklich eine große Sehnsucht nach“, sagt Lukas. Und Jonas? Der spricht von einer „Distanz, in der wir und das Publikum uns voneinander weg und aufeinander zu bewegen. Ein Austausch von Emotionen - die durch den Raum schwirren und jeden bewegen und erreichen sollen“. „Avatar“, wie schon die „Kommissar“ EP von Fabian Langer (Neufundland) produ-ziert, atmet viel von dieser Live-Energie. Das Quartett ruht sich nicht auf den frühen Lorbeeren aus. Die Songs sind ein ganzes Stück vielschichtiger geworden, gleichzeitig aber auch eingängiger, besitzen einen Sog, der durchaus an den der Konzerte erinnert. Man merkt der Band an, dass sie ein neues Selbstverständnis gefunden hat. FIBEL haben sich vorgenommen, etwas Tiefes zu schaffen, etwas handwerklich Gutes, das – ganz wichtig – immer mehr als die Summe der einzelnen Teile sein muss. „Bei der ersten EP kamen die meisten Songs noch von mir und Dennis“, sagt Jonas. „Diesmal haben wir sehr darauf geachtet, dass unsere Lieder gemeinsam entstehen. Wir haben festgestellt, dass wir alle uns dann wohler fühlen.“ Man könnte FIBEL jetzt in eine Schublade stecken und sie mit anderen deutsch-sprachigen Bands vergleichen. Aber um diese Schublade geschlossen zu bekom-men, müsste man schon arg schieben und drücken. Eher kommen einem bei den druckvollen Post-Wave-Sounds die britischen Foals in den Sinn, vielleicht auch die Band Editors. Das Schöne an der Band, die ihre Mannheimer Wurzeln mittlerweile zu-gunsten von Berlin aufgegeben hat, ist aber etwas, das einem bei so jungen Musikern selten begegnet: FIBEL haben sich in gerade mal drei Jahren eine ganz eigene Welt geschaffen. Man erkennt einen ihrer Songs spätestens dann, wenn Jonas ein paar Zeilen gesungen hat. Wegen dieser Stimme, die immer eine gewisse Melancholie in sich trägt. Vor allem aber wegen seiner Art zu texten, die zwei Dinge vereint: Seine Lyrics sind einerseits sehr assoziativ, scheinen aus einer Traumwelt zu stammen. Sie meiden die aus dem Pop bekannten Satz- und Reimmuster, schweben ebenso frei im Raum wie die Melodielinien der Instrumente. Gleichzeitig sind die Zeilen sehr konkret in seinen Gedankenwelten verankert. Er besitzt die Fähigkeit, einen Gedankenstrom so zu kanalisieren, dass er als Song funktioniert, dabei aber niemals seine Tiefe verliert. „Ich mag das Wirre, das Verspulte. Ich möchte manchmal auch eine Spur zu weit ausholen dürfen. Denn so fühlen sich unsere Gedanken doch oft an.“ Es passt gut dazu, dass Jonas eine Vorliebe für die Filme von Gaspar Noé und Nicolas Refn besitzt – die Bilderwelten ähneln sich. In den Songs von FIBEL spielt immer eine gewisse Sehnsucht mit. Die Suche nach Dingen, die man gar nicht genau benennen kann, vielleicht nach irgendeiner Form der tiefen, unbedingten Verbindung. „Was will ich sagen? Was ist mir wichtig? Ich habe noch nie so mit Texten gerungen wie diesmal“, sagt Jonas. Dieses Ringen hat sich gelohnt. Jeder der Songs auf der „Avatar“ EP besitzt Anker, an denen man sich als Hörer festhalten kann, die einen aber auch in die Musik hineinziehen. Manchmal sind das einzelne Buzzwords. Der „Spanische Spiegel“ in „Zukunft“. Das „Alien“ in „Ufo“. Und der Begriff „Pervitin“, welcher im Titelsong Avatar auftaucht. „Dieser Song handelt davon, dass jemand seinen Lebenssinn verliert. Dass er zu einer ge-steuerten Seele in einer seelenlosen Welt wird, aus der er nur entfliehen kann, wenn er sich auf radikale Art und Weise herunter bricht“, erklärt Jonas. In „Odyssee“, ei-nem treibenden Indierock-Song, sind es Skylla und Charybdis, die Meeresungeheuer aus der Straße von Messina, denen man plötzlich gegenübersteht. „Winter“ verschiebt den Regler aus dem Abstrakten ins Konkrete. „Ich bin wie ein Foto in der Dunkelkammer“, singt Jonas hier, um kurz danach zu fragen: „Wie sich das wohl anfühlt, wenn uns die Welle an Land spült?“ In „Ufo“ berichtet er von einer „fremden grünen Hand“, die über seinen Tellerrand hängt, ihn nicht loslassen möchte; vom abstrakten Gefühl, dass da draußen doch mehr sein könnte als das, was man sieht oder hört. Im abschließenden „Zukunft“ geht es ums große Ganze: Kame-ra, Mikrofon, Blitzgewitter erlebt der Protagonist da, und kommt schließlich hinter Gitter. Es ist die Frage nach der Schuld, die hier verhandelt wird – und die Erkennt-nis, dass Schuld in einem gesellschaftlichen Sinne nicht nur kollektiv, sondern auch immer individuell ist. Große Themen also. Das Bemerkenswerte ist, dass FIBEL sich daran keine Sekunde lang verheben. Mit der „Avatar“ EP machen sie einen entscheidenden Schritt nach vorne.

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